Buchkritik – Stefan Frieser: „Der Himmel und die Luft zum Atmen“

„Der Himmel und die Luft zum Atmen“ schildert das Schicksal des Arbeiterjungen Gottfried Frieser aus Maxhütte vor und während dem Zweiten Weltkrieg, niedergeschrieben nach über 60 Jahren vom Enkel des Protagonisten.

Spätestens, nachdem die ersten vier, fünf Seiten gelesen sind, weicht die  anfängliche Skepsis und man ist mittendrin in einer fesselnden Lektüre und folgt dem Ich-Erzähler durch gute wie grausame Zeiten. Ein bemerkenswertes Buch – zum einen, weil es sich um einen Debütroman handelt. Friesers Lebensgeschichte wurde von seinem Enkel Stefan (38), der in Regenstauf lebt, niedergeschrieben. Zum anderen, weil es, wie anhand des Schicksals eines Metzgers, der in den Krieg zieht, gefangen genommen und schließlich wieder nach Hause kommt, den ganz normalen Alltag in Nazideutschland erlebbar werden lässt.

Niedergeschrieben mit der nach Jahrzehnten der Reflektion über das Geschehene erlangten kritischen Distanz, hat Landser-Romantik in dem Werk keinen Platz. Wie ein roter Faden zieht sich die Auseinandersetzung mit der Ideologie des Dritten Reichs – oder besser gesagt die Nicht-Auseinandersetzung – durch den Roman. Frieser merkt immer wieder an, in welchen Momenten er sich von der Aussicht auf Abenteuer (Lagerfeuer! HJ! Marine! Ferne Länder!) hat locken lassen. Der Ich-Erzähler war also kein Widerständler im eigentlichen Sinne, kein Ideologe, kein Schaf, aber auch kein Wolf. Sein Enkel wiederrum schreibt die Lebensgeschichte atmosphärisch dicht auf, bleibt höchst lebendig über alle Seiten des Buchs hinweg und umkurvt alle Phrasen-Tümpel souverän.

Wenn man dem jungen Autor also überhaupt etwas vorhalten möchte, dann, dass er uns Leser nach der Rückkehr von Gottfried Frieser nachhause im Ungewissen und das Buch enden lässt. Wie hat Frieser das Geschehene verarbeitet? Vor dem Hintergrund des beachtlichen Talents des 38-jährigen Autors wäre es mehr als erfreulich, bald eine Fortsetzung lesen zu dürfen. Chapeau! MARTIN SCHRÜFER

Stefan Frieser: Der Himmel und die Luft zum Atmen
Verlag Monsenstein & Vannerdat
Münster 2009
276 S.
16.80 Euro

(veröffentlicht in: lichtung, Ausgabe 03/2010)

Einige Zitate aus dem Buch

S.33: „Der letzte Tag. Wie jeden Abend sitzen wir gemeinsam am Lagerfeuer. Ein Ritual, das unser Gefühl für Gemeinschaft stärken und die Bilder des Tages, Hakenkreuze, Fahnen, Braunhemden, ja die ganze Ideologie in der knisternden Wärme durch die strahlenden Flammen in unsere Herzen brennen soll.“

S.95: „Ich frage mich, ob Macht den Charakter verdirbt, und ob jeder Zacken eines Sternes auf der Schulterklappe ein Stück Menschlichkeit zersticht.“

S.183: „Es bleibt immer gleich, und vielleicht suchen die Menschen so eine feste Größe, eine Sicherheit, und darum haben sie Gott in den Himmel verpflanzt. Ich atme tief ein und blicke nach oben. Das sind die Dinge, die mir geblieben sind: Der Himmel und die Luft zum Atmen.“

S.264-265: „Sie gaben uns Zeltlager und Lagerfeuerromantik, zogen alle psychologischen Register, um uns für ihre Ideologie zu begeistern, und jetzt soll ich das verteufeln und denen glauben, gegen die wir gekämpft haben? Denen, die mich in Gefangenschaft gehalten und geschlagen haben? Wir bräuchten eine neue weltanschauliche Schulung, die jetzt alles widerlegt, was uns in den ersten Jahren unseres rationalen Denkens als Wahrheit verkauft wurde. Das würde ich mir wünschen, doch die Häuser auf unserem geistigen Fundament, von Architekten der falschen Lehre erbaut, werden abgerissen, und niemand räumt die Trümmer weg. Wie selbstverständlich habe ich mich damals mitgefreut über den gelungenen Polenfeldzug, und heute, sieben Jahre später, könnte ein Pole mich verraten, mein Todesurteil fällen.“

2 Kommentare zu „Buchkritik – Stefan Frieser: „Der Himmel und die Luft zum Atmen“

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