Laut und leise, das sind zwei Extreme, die in der Musik durchaus eine Rolle spielen. Live sowieso. Kann eine Band nur noch das eine, ist das schade. Placebo waren am vergangenen Sonntag in Salzburg jedenfalls großartig laut. Das Konzert …
… in der überaus für Konzerte geeigneten und bestens von München aus anfahrbaren Salzburg Arena (siehe auch Kasse4 vom 30. August: „10. Gründe, am 5. September nach Salzburg zu fahren“) zeigte 82 Minuten lang eine Band, die wider dem aus zig anderen Konzerten gespeisten Erwarten des Konzertkritikers gut gelaunt war und nicht nur mit großartiger Routine, sondern auch mit so etwas wie Emotionen zu Werke ging.
Wann hat man Sänger Brian Molko schonmal zweimal hintereinander breit grinsend den Mikroständer umtreten sehen, um seinen Gitarrenroadie zu ärgern? Wann die Live-Mitmusiker Alex Lee und Bill Lloyd auf der Bühne und nicht nur im Schatten des hintersten Rands, gleich nach dem Vorhang und noch hinter den Boxentürmen, unsichtbar für die Masse an Zuhörern? Wann stand Bassist Stefan Olsdal je bei Neu-Drummer Steve Forrest, mit sekundenlangem Blickkontakt? Aus einer Band mit den sattsam bekannten großen, seltsamen und faszinierenden Egos früherer Jahre ist nicht nur in Salzburg eine fast schon nahbare, heftig rockende und in Ansätzen sogar rege mit den Fans kommunizierende Band geworden.
Dies allein dem jugendlichen Schlagzeuger Steve Forrest zuzuschreiben, der auch bei der mindestens 80sten Show der aktuellen Welttour noch immer so trommelt, als ginge es um sein Leben und als müsse er allein einen Krieg gegen die selbige anzetteln, greift zu kurz. Versuchen wir es mit dem jüngsten Album der Band, „Battle For The Sun“. Auch dank guter Arbeit der Plattenfirma PIAS Recordings erreichte es vergangenes Jahr Platz Eins der Charts auch in Deutschland. Die erste Pole Position für die Briten im Laufe Ihrer Karriere kam parallel mit einem Werk, das so breit und groß und pompös angerichtet war, dass nahezu jeder Song danach schrie, über aberwitzig hohe Boxentürme auf die riesigen Felder der Festivals dieser Welt hinausgeblasen zu werden, war jede Stereoanlage viel zu brav dimensioniert, um das wiederzugeben, was in den Bits und Bytes schlummerte.
Molko hatte damals in Interviews bereits erwähnt, dass es den Plan gab, ein Album zu schreiben, mit dem man zwei Jahre auf Tour gehen könne – und das wurde es dann auch. Ungewohnt positiv, gar optimistisch trällerten manche Songs vor sich hin („Ashtray Hearts“), jubelten sich Leadgitarren in den Himmel („Bright Lights“, das später von der Band in einer neuen Version vor der Single-Auskopplung noch um festzeltkompatible Background-Vocals ergänzt wurde) und plingten Xylophone sich in die Gehörgänge der überraschten Fans („The Never Ending Why“). Überrascht, aber nicht verärgert, denn die Songs der „Battle For The Sun“ gehörten zum Besten, was die Band je veröffentlicht hatte und wer ärgert sich schon über die Schaffenskraft seiner Lieblingsband, auch wenn sie eher dem Radio als dem Club gut zu Gesicht steht?
Nun, die erste Live-Show zur Platte, optimal-genial platziert von Veranstalter Marek Lieberberg bei „Rock am Ring“ 2009, geriet dementsprechend dann auch zur Sensation – so dynamisch, so groß, so bewegend, so mitreißend und berührend hatte schon jahrelang keine Band mehr ihre Songs zu Leben erweckt. Alte Gassenhauer wie neue Battle-Songs, übrigens. Neben den überlebensgroßen Gitarrenwänden gab es damals am Nürburgring (wie später auch in Hamburg) die ruhigere Seite von Placebo zu hören, „Speak In Tongues“ beispielsweise – der Nummer, die Forrest, Olsdal und Molko übereinstimmend als ihren Lieblingssong vom neuen Album auserkort hatten – oder „Follow The Cops Back Home“.
Und damit nähern wir uns dem Kern der Show von Salzburg: Es geht laut, aber nicht mehr leise bei Placebo. Die Chöre von „Speak in Tongues“ erklingen als Intro vom Band, bevor die Band die Bühne betritt. Die Setlist und die Art und Weise, wie die Songs durch die Halle fliegen, ist strikt auf die zwölf, genannte Songs von der Setlist verschwunden und alte Zaubersongs wie „Running Up That Hill“ feierten keine Wiederkehr ins Programm. Zum Auftakt also (überraschend) „Nancy Boy“, dann über die Hitsingles „Ashtray Heart“ und „Battle For The Sun“ und einem aufbrausend-wuchtigen „Sleeping With Ghosts“ zum Alltime-Hit „Every Me Every You“ geht der Weg auch schon fast zum Pop-Block des Abends („Breathe Underwater“/“The Never-Ending Why“/“Bright Lights“). Dazwischen „Special Needs“ und das verstörende „Meds“, bis mit dem ironisch dargebrachten „All Apologies“ inklusive Grimassen und Gesten galore von Herrn Molko die Hits „Song To Say Goodbye“ und „Bitter End“ den regulären Teil des Konzerts auch schon beenden. „Trigger Happy Hands“ als erste Zugabe ist zwar relativ neu, aber immer noch unfassbar albern – Put your hands in the air and wave them like you give a fuck?!! – „Infra-Red“, „Post Blue“ als kleine Überraschung und den Standard-Rausschmeisser „Taste in Man“ am Ende. Irgendwo in der Mitte das ganz alte „Teenage Angst“. Nach „Taste in Man“ gehen die Lichter an und die Roadies bauen ab, ein paar Pfiffe von Enttäuschten – Aus, vorbei, 82 Minuten Vollgas und streckenweise vier Gitarren auf der Bühne (!).
Bratzerei in Perfektion, zugegeben. Andererseits auch Effekthascherei von Anfang bis Ende, ein Best-Of in buntester Mischung, die düsteren Fratzen der „Meds“-Songs in Nachbarschaft zu dem Optimisten-Indie-Poprock der „Battle For The Sun“. Aha. Spielfreude bei der Band, handwerkliches Können sowieso, aber ob das alles so richtig Sinn macht und mehr ist als die Bierzelt-Variante aus dem Werk einer der wunderbarsten Rockbands dieser Jahre, sei dahingestellt. ms
—— Extra-Service an der Kasse4: Setlists von Placebo zwischen Sommer 2009 und Herbst 2010 ——-
Setlist 05.09.2010 Salzburg, Salzburg-Arena
Nancy Boy
Ashtray Heart
Battle For The Sun
Sleeping With Ghosts
Kitty Litter
Every Me Every You
Special Needs
Breathe Underwater
The Never-Ending Why
Bright Lights
Meds
Teenage Angst
All Apologies (Nirvana)
Song To Say Goodbye
Bitter End
—-
Trigger Happy Hands
Post Blue
Infra-Red
Taste in Man
Setlist 10.11.2009 Hamburg, Color Line Arena
For What It’s Worth
Ashtray Heart
Battle For The Sun
Sleeping With Ghosts
Speak In Tongues
Follow The Cops Back Home
Every You Every Me
Special Needs
Breathe Underwater
Because I Want You
Twenty Years
Julien
The Never-Ending Why
Blind
Devil In The Details
Meds
Song To Say Goodbye
—
Bright Lights
Special K
The Bitter End
—
Trigger Happy Hands
Infra-Red
Taste in Man
Setlist „Rock am Ring 2009“, Nürburgring
Kitty Litter
Ashtray Heart
Battle For The Sun
For What It’s Worth
Black-Eyed
Speak In Tongues
Follow The Cops Back Home
Every You Every Me
Sleeping With Ghosts
Special Needs
The Never Ending Why
Bionic
Meds
Come Undone
Special K
Song To Say Goodbye
—
Infra Red
The Bitter End
—
Taste In Man
UPDATE: Placebo live im Fernsehen gibt es demnächst beim „WDR Rockpalast“: Sonntag auf Montag, den 13.09. von 00.15 – 02.15 Uhr ist die 2010er Show der Band beim „Area 4“-Festival zu sehen und hören.
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