Über den Unsinn von Pool-Redaktionen

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Man hört das ja immer wieder: Schlaue Verleger bilden Pool-Redaktionen für ihre Titel. Das sind mitnichten Redaktionen, die am Pool sitzen, gemütlich den Laptop auf dem Schoß und den Drink auf dem Tischchen nebendran. Die Kasse4 nimmt sich dem unsäglichen Thema jetzt mal so richtig an. Pool-Redaktionen sind also etwas anderes als Outdoor-Spaßvereinigungen, sie sind „Redaktionen“, die mehreren Titeln zuarbeiten und die man eher Mitarbeitergruppen nennen sollte. Also nicht nur um den einen Titel, der die Gruppe von Mitarbeitern zu dem macht, was man Redaktion nennt. Fast hätte die Kasse4 an dieser Stelle ja das Wort „Titel“ durch „Objekte“ ersetzt, auch so ein schöner Ausdruck. Er wird gern von denjenigem verwendet, der so hoch auf der journalistischen Karriereleiter angelangt ist, dass er schreiben läßt. Also lediglich über das Objekt (ha, da ist es wieder, das Wort!) wacht, es überwacht, begleitet, leitet, korrigiert – als Objektleiterin oder Chefredakteur, je nach dem eigenen gewählten Führungsstil und der Nomenklatur der Hierarchie-Ebenen des Verlags.

Kein Volontär dieser Welt würde aber das Magazin, die Tageszeitung oder das Online-Magazin, für das er arbeitet, „Objekt“ nennen, was dran liegt, dass die Identifikation des angehenden Journalisten zu dem „Objekt“ in der Regel höher ist als in späteren Jahren. Wenn Macht, Jahresgehalt und Auflage („Mein Pferd, meine blonde Frau, meine Kinder, mein Haus …“) mehr zählen als das „Blatt“ an sich oder das „Blattmachen“, ja dann ist die Lust an den eigenen Texten meist erloschen und das „Objekt“ geboren.

„Objekte“ also, die Kasse4 schweift ab, sorry. Und „Pool-Redaktionen“. Gebildet und erdacht von Verlegern, die Geld einsparen wollen, nehmen wir als Beispiel Gruner+Jahr, wo sich der gemeine Redakteur seit einiger Zeit um „Capital“ wie „FTD“ kümmert. Aber das Thema an sich braucht keinen konkreten Fall, wahrscheinlich ist G+J eh die Ausnahme von der Regel und dort ist alles super. Die Kasse4 denkt aber, dass jedes „Objekt“ seine eigene Identität haben sollte, die von dem Input seiner festen Redakteure, also der Redaktion an sich, lebt. Das wiedergibt, was die Redaktion denkt, was sie mag (und was nicht) und wie sie den Titel interpretiert. Die anders tickt als manch andere Redaktionen (man vergleiche nur beispielsweise die Redaktion eines Fachtitels mit der einer Tageszeitung!) und die die Unverwechselbarkeit herstellt, die den Interessenten am Kiosk die entscheidenden Argumente in die Hand gibt, zu diesem und keinem anderen Titel zu greifen.

Pool-Redaktionen bedeuten das genaue Gegenteil und werden im Zusammenspiel mit dem ebenfalls exaltiert spannenden Plan, jedem Titel nur noch einen Chefredakteur, einen Textchef und einen Art-Director zuzuweisen (den Rest besorgen Freie) das Ende von zahlreichen Titeln am Kiosk einläuten. Auch hier macht einen der Ansatz sprachlos: Wie sollen Freie Mitarbeiter, die qua Definition nicht von einem Auftraggeber leben sollten und auch nicht dürfen, steuerrechtlich, zur Identitätsbildung eines Titels beitragen? Wer soll ihnen die Lust am Feilen des Gesamtkonzepts einer Publikation honorieren im alltäglichen Preiskampf um die billigsten Zeilen?

All diese bescheidenen Überlegungen, die die Kasse4 zu dem Thema anstellt, sind an sich eins: naheliegend. Denn Qualität kostet Geld und was in anderen Bereichen selbstverständlich ist, nämlich Qualität zu bezahlen beziehungsweise diejenigen, die die Qualität herstellen, dies ist im Journalismus offenkundig nicht möglich oder nicht gewollt. Was wiederrum, und da wagt die Kasse4 die Prognose, das Ende von zahlreichen „Objekten“ zeitigen wird. Wetten? Das Thema ist zu traurig, um damit Wettspiele zu füttern … m.

ERGÄNZUNG

Zu dem Thema ist der Kasse4 übrigens eine wunderbare Satire von Spießer Alfons über den Bildschirm gelaufen – Kostprobe? Gern, der Text beginnt mit den Sätzen:

Kürzlich sprach der Spießer mit einem Verleger, der an dieser Stelle ungenannt bleiben möchte. Er verlegt nicht nur Teppichböden, sondern auch Frauenzeitschriften. Und während er für das Verlegen von Teppichböden noch Mitarbeiter sucht, hat er bei seinen Frauenzeitschriften soeben allen Redaktionsmitarbeitern gekündigt.

Eigentlich großartige Unterhaltung, wenn das Thema an sich nicht so traurig wäre, oder wenn es einen Berufsstand verballhornen würde, der nichts mit dem Kassenpersonal zu tun hat.

UPDATE

Sehr hübsch, aber leicht gesagt ist nicht leicht getan :). Man macht es sich generell oft sehr leicht, wenn es um das Thema Leser und Medien geht.

Die heutige Playlist:

The Vines – Melodia (VÖ: 17.10.2009, Cooking Vinyl/Indigo). Indie-Rock, den man kaum braucht zum Glücklichwerden. Die ersten beiden Nummern, „Get Out“ und „Manger“ gehen noch ganz gut ab und bratzen nett und fett, danach ist Alternative-Indie-Pop-Rock aus der 08/15-Kategorie angesagt. Dann lieber die frühen Strokes oder die Hives.m.

Fleet Foxes Cover, Musik, CD-Rezension
Fleet Foxes - gut, das.

Fleet Foxes – Fleet Foxes (VÖ: 08.08.2008, Cooperative/Universal). Was der „Rolling Stone“ damals „sakrale Anmut in Vollendung“ nannte, nennt die Kasse4 jetzt immer noch „Edelstoff für 60er-Jahre Freaks“. Die Scheibe ist ok, aber nicht jeder holt sich einen dabei runter, wenn ein Song so klingt, wie er vielleicht klingt, wenn Neil Young auf dem Klo sitzt und vor sich hin singt, nicht jedermann findet zugegebenermaßen sehr guten Harmoniegesang grundlegend aufregend. Stark, stark Retro, wiegesagt, kann man mögen. Der Hype um die Fleet Foxes ist aber letztlich wieder mal einer der Fälle, bei denen sich das Musik-Kritikertum selbst bespricht und gratuliert. m.

2 Kommentare zu „Über den Unsinn von Pool-Redaktionen

  1. Ich glaube da muss man kein Seher sein um deiner Prognose zustimmen zu können. Wie du schon sagtest: wenn man sich mit dem Blatt nicht mehr identifiziert geht auch deren Seele und Qualität und damit letztendlich auch die Leser verloren.
    Schon komisch wie die Verlage – egal ob jetzt Print oder Musik – auf die technischen Neuerungen der letzten zehn Jahre reagiert haben: nämlich gar nicht. Sie scheinen tatsächlich keinerlei zukunftsfähiges Konzept zu haben und jammern stattdessen auf hohem Niveau, wahrscheinlich in der Hoffnung das sie der Staat am Ende wie auch die Bank schon retten wird. Wenn sie sich da mal nicht irren.
    Bigger hole to fill!

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  2. Sagen wir mal so: Wie man auf die technischen Neuerungen hätte reagieren können, ist ja selbst unter Fachleuten alles andere als eindeutig geklärt; noch weniger als die Frage, wie man mit den technischen Neuerungen Geld machen kann. Denn Geld machen kann man ja auch mal ganz ideologiefrei als Grundlage für Beschäftigungsverhältnisse in Redaktionen sehen, ohne gleich anti-kapitalistisches Geschrei anzustimmen.

    Zum Thema Bigger hole to fill: Ja, sicher. Aber auch enough money to feed those who fill?

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