Ist es letztlich die alte Frage, ob das Glas halbleer oder halbvoll ist? Die deutsche Musikindustrie hat gestern ihre Umsatzzahlen für das Jahr 2009 veröffentlicht. Laut eigener Auskunft ist sie „gut durch das Krisenjahr 2009 gekommen und befindet sich weiter auf Konsolidierungskurs“. Das kann man angesichts des zwölften Umsatz-Minus in Folge aber auch anders sehen … Die Kasse4 beobachtet ja bereits seit 1999 intensiv die Macher und Magier der Tonträger- wie Konzertveranstalterbranche und fragt sich auch nach der gestrigen Bekanntgabe wieder, ob Pfeifen im Wald das Mittel der Wahl ist oder ob es ein wenig mehr Realitätssinn hätte sein dürfen. Schauen wir uns zunächst die Fakten an.
„Gesamterlöse“: 1,8 Milliarden Euro (minus 2,1 Prozent)
„Reine Musikverkäufe“: 1,53 Milliarden Euro (minus 3,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr)
„Neue Erlöse“: 122 Millionen Euro (plus 11 Prozent)
Anteil der „Neuen Erlöse“ an den „Gesamterlösen“ also: Rund 6 Prozent
Verkaufte CDs: 147,3 Millionen Einheiten (plus 1,5 Prozent)
Umsatz mit Musikdownloads: 118 Millionen Euro (plus 34,3 Prozent)
Was sind „Gesamterlöse“? Erstmals wurden 2009 auch die Einnahmen aus der GVL und von neuen Erlösmodellen wie Merchandise, Künstlermanagement und Lizenzen (360-Grad-Modell, ick hör Dir trapsen!) hinzugerechnet und, um 2008 einen vergleichbaren Wert zu haben, rückwirkend eine Annäherung vorgenommen.
Und weiter im Text des Branchenverbands der Musikindustrie: „Deutschland hat im internationalen Vergleich im Moment eine Ausnahmestellung. Während viele Länder seit Jahren mit zweistelligen Umsatzrückgängen kämpfen, setzt sich in Deutschland die Konsolidierung im Musikmarkt fort“. Und hier beginnen die Bauchschmerzen der Kasse4, denn natürlich gibt es viele Länder mit zweistelligen Umsatzrückgangen, aber zum einen ist die Zeit der zweistelligen Umsatzrückgänge in Deutschland auch nicht allzu lang her, zum anderen gibt es viele Länder, die „zwischendurch“ auch ein Wachstum verzeichnen konnten (Südafrika, Russland, Mexico, Australien etc.).
Interessant ist ferner die Entwicklung der Erlöse, die aus dem „360 Grad Modell“ resultieren: Der Versuch der Plattenfirmen, ihre Aktivitäten ins Live-Business und ins Management auszudehnen, scheinen offenkundig auch nicht stürmisch voranzugehen. Das Umsatzplus von „nur“ sechs Prozent macht stutzig, denn das Modell wird seit Jahren mit einer solchen Vehemenz in der Branche gefordert und propagiert, dass man meinen könnte, man hätte den Worten hier längst Taten folgen lassen.
Ergo stellt sich schon die Frage, ob der Optimismus angesichts des zwölften Jahr des Umsatzrückgangs angebracht ist. Sicher kann man argumentieren, dass ein leichter Umsatzrückgang besser ist als ein starker, aber das Ziel jeder unternehmerischen Aktivität sollte ja eigentlich entweder der Ergebnisverbesserung oder der Umsatzsteigerung gelten. Wie weit man bei Ersterer gekommen ist, wird übrigens das weitere Schicksal des Majors EMI Music zeigen, der aktuell trotz Einsparungen nicht wirklich blendend dasteht. Es bleibt also spannend und die Kasse4 Musik über alles liebt, haben wir das Wort „schlecht“ in der Überschrift mal eingeklammert.
Medienecho auf die Zahlen:
http://www.musikmarkt.de: Die offizielle Variante
http://www.musikwoche.de: Vorsichtige Deutung
http://www.zeit.de: Brillante Analyse von Rabea Weihser, unter anderem mit folgendem Ergebnis:
Nein, das wichtigste an diesen – im Trend positiven – Marktdaten ist, dass an ihnen der Fortschritt einer gesellschaftlichen Debatte ablesbar ist. Sie sind ein Indikator für das Zusammenwachsen von digitaler und analoger Welt. Je mehr Menschen sich für den Kauf eines Werks im Internet entscheiden, desto größer die Anerkennung der künstlerischen Leistung. Wer versteht, dass das Internet nur abbilden kann, was real existiert, ist auch bereit, die Urheber für die Inhalte zu entlohnen.
Das deutsche Publikum hat zwar einen vergleichsweise konservativen Musikgeschmack, ist aber im Umgang mit illegalen Downloads auch zimperlicher als beispielsweise das amerikanische. Fortschrittsglaube und bedingungslose Technikbegeisterung sind hier, gerade in den älteren Nutzerschichten, die nun das Internet für sich entdecken, nicht das Maß aller Dinge. So geht manch Kulturwandel gemächlicher und nicht ohne wirtschaftliche Opfer vonstatten, aber möglicherweise besonnener.“
Die Kasse4 schließt sich dem an und meint: Chapeau, Frau Weihser – sehr gut beobachtet und geschrieben!
Die heutige Playlist:
Schiller – Atemlos (VÖ: 12.03.10). Die Optik ist makellos: Selten so ein schönes CD-Cover gesehen in den letzten Wochen wie das von Schillers neuem Album und beim Anhören geht es in der Qualität so weiter. Schillers Elektropop mag vielleicht für den einen oder anderen auch als Sedativum dienen, aber klanglich und kompositorisch brennt beim Nachfolgeralbum zu „Sehnsucht“ nichts an: Facettenreich, intelligent, mit tollen Gaststars gesegnet, wird „Atemlos“ live und als CD seinen Weg machen. Die Deluxe-Edition kommt mit einer schönen Bonus-DVD, value for money, in jeder Hinsicht.
Ein Kommentar zu „Schräg pfeift es aus dem Wald – Tonträgerbranche veröffentlicht (schlechte) Jahreszahlen“